LA ILAHA IL ALLAH
   
  ahluhaq
  Wesensanalyse von Imam al-Ghazali
 

Wesensanalyse von Imam al-Ghazali (1. Teil)

BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM

 

Teil 1: Die Selbsterkenntnis
Aus Kimiya-i-Saadat vom Imam al-Ghazali -rahimahullah-


Wisse: Der Schlüssel zur Erkenntnis Allahs. ist die Selbsterkenntnis. Darum ist gesagt worden:
»Wer sich selbst erkannt hat, der hat seinen Herrn erkannt«,
und darum heißt es im Worte Allahs:
Wir werden sie Unsere Zeichen überall auf Erden und an ihnen selbst sehen lassen, damit ihnen deutlich wird, dass es die Wahrheit ist.
41:53

Es gibt nichts, was dir näher wäre, als du selbst. Wenn du dich aber selbst nicht kennst, wie willst du dann andere kennen? Sagst du: »Ich kenne mich doch! «, so irrst du dich, denn solche Erkenntnis taugt nicht zum Schlüssel für die Erkenntnis Allahs. Auch die Tiere kennen so viel von sich selbst wie du von dir. Dies äußere Haupt und dies Gesicht, diese Hand und diesen Fuß, dies Fleisch und diese Haut, die kennst du, sonst nichts; von deinem Inneren aber weißt du gerade so viel, dass du issest, wenn du hungrig bist, die Menschen angreifst, wenn du zornig wirst, und nach Begattung strebst, wenn die Begierde über dich kommt. Darin aber sind dir alle Tiere gleich.
Darum sollst du nach Erkenntnis deines wahren Wesens streben, was du bist, woher du gekommen bist, wohin du gehst, und zu welchem Zweck du für diese paar Tage in dieser Karawanserei gekommen bist, wozu du erschaffen bist, worin dein Glück besteht und wodurch du glücklich wirst, worin dein Elend besteht und wodurch du elend wirst. Die Eigenschaften die in deinem Innern vereinigt sind, sind teils Eigenschaften des Viehs, teils solche der Raubtiere, teils solche der Teufel und teils solche der Engel. Welches von diesen Wesen bist du nun? Welches von ihnen ist deine wahre Substanz, und welche sind dir fremd und nur geliehenes Gut. Solange du das nicht weißt, kannst du nicht nach deinem Glücke suchen, denn jedes dieser vier Wesen findet in etwas anderem seine Nahrung und sein Glück.


Die Nahrung und das Glück des Viehs:
Essen, Schlafen und Begatten. Gehörst du also zum Vieh, so befleißige dich der Werke des Bauches und der Zeugungsglieder Tag und Nacht.

Die Nahrung und das Glück der Raubtiere ist: Schlagen, Töten und Rasen

Die Nahrung und das Glück der Teufel ist: Böses anstiften, Betrügen und Überlisten.
Gehörst du also zu ihnen, so tue ihre Werke, auf dass du zu deiner Ruhe und zu deinem Glücke gelangest.

Die Nahrung und das Glück der Engel aber ist:
Das Anschauen der göttlichen Schönheit, und Begierde und Zornmut und die Triebe des Viehs und der Raubtiere finden keinen Weg zu ihnen. Wenn du also von der Substanz der Engel bist, so bemühe dich, dass du Allah erkennest und den Weg zum Anschauen seiner Schönheit findest und dich frei machest von der Herrschaft der Begierde und des Zornmutes, und suche zu erkennen, wozu die Triebe der Raubtiere und des Viehs in dich gelegt sind, ob sie dir dazu anerschaffen sind, dass sie dich zu ihrem Sklaven machen, so dass du ihnen dienen und Tag und Nacht frönen musst, oder dazu, dass du sie zu deinen Sklaven machst und auf der Reise, die dir auferlegt ist, dir von ihnen Frondienste leisten lässt.


Denn du sollst den einen zu deinem Fahrzeug und den andern zu deiner Waffe machen und die wenigen Tage, die du in dieser Karawanserei verbringst, sie in deinem Dienst verwenden, auf dass du mit ihrer Hilfe den Samen der Glückseligkeit erwerbest. Dann aber sollst du sie unter deine Füße treten und deinen Blick richten auf die Stätte der Glückseligkeit, die von den Erwählten die Gegenwart Allahs, von dem gemeinen Volke aber Paradies genannt wird.
Dies alles musst du wissen, um auch nur ein wenig von dir selbst zu erkennen. Wer aber dies nicht weiß, der wird auf dem Wege des Glaubens Beschämung finden, und das wahre Wesen der Religion wird ihm verborgen bleiben.


Willst du dich selbst erkennen, so wisse, dass du aus zwei Dingen geschaffen bist. Das eine ist diese äußere Hülle, die man Leib nennt und mit dem äußeren Auge sehen kann. Das andere ist jenes Innere, das man bald Seele, bald Geist und bald Herz nennt, und das nur von dem inneren Auge erkannt werden kann. Dies Innere ist dein wahres Wesen, alles andere ist nur sein Gefolge, sein Heer und seine Dienerschaft. Wir wollen es das Herz nennen. Wenn wir also von dem Herzen sprechen, so wisse, dass wir damit das wahre Wesen des Menschen meinen, das man sonst bald Geist, bald Seele nennt, nicht aber jenes Stück Fleisch, das in der linken Seite deiner Brust sitzt; denn das hat keinen Wert, und auch die Tiere und die Toten besitzen es, und man kann es mit dem äußeren Auge sehen. Alles aber, was man mit diesem Auge sehen kann, gehört dieser Welt an, der Welt des Augenscheins. Das wahre Menschenherz aber ist nicht von dieser Welt, sondern ist als Fremdling zu kurzer Wanderung in diese Welt gekommen.

Jenes äußere Stück Fleisch ist sein Reittier, und alle Glieder des Leibes sind seine Streitkräfte, es selbst aber ist des ganzen Leibes König. Die Erkenntnis Allahs und das Schauen der göttlichen Schönheit ist seine Wesensbestimmung, ihm gelten Pflichtgebot und göttliche Anrede, Lohn und Strafe, seiner ist die Seligkeit und das Elend. Der Leib aber ist in alledem nur sein Gefolge.

Die Erkenntnis seines Wesens und seiner Eigenschaften ist der Schlüssel zur Erkenntnis Allahs. Darum bemühe dich, es zu erkennen, denn es ist eine edle Substanz von der Art der Substanz der Engel, und sein Ursprungsort ist die Gottheit, dort her kam es, und dorthin wird es gehen. Hierher aber ist es als Fremdling gekommen und nur um Handel zu treiben und Samen zu säen. Was aber dieses Handel treiben und Säen bedeutet, das wirst du später erfahren, so Allah will.

Wisse, um das Wesen des Herzens zu erkennen, musst du zuerst von seinem Dasein wissen; dann musst du wissen, was sein wahres Wesen ist; dann, welches seine Streitkräfte sind und welches seine Beziehung zu diesen Streitkräften ist; endlich, wie ihm die Erkenntnis Allahs zuteil wird und wie es zur Glückseligkeit gelangt.
Was nun das Dasein anlangt, so ist es unmittelbar einleuchtend, denn an seinem Dasein kann der Mensch nicht zweifeln. Das Dasein beruht aber nicht auf diesem äußeren Leibe, denn den haben auch die Toten und leben doch nicht, sondern wir meinen mit diesem Herzen den Geist, ohne den der Leib tot ist.


Wenn ein Mensch die Augen schließt und seinen Leib vergisst, samt Himmel und Erde und allem, was das Auge sehen kann, so hat er notwendig eine Kenntnis von seinem Dasein und ein Bewusstsein seiner selbst, auch wenn er von seinem Leib und Erde und Himmel und allem, was darinnen ist, kein Bewusstsein hat. Wenn ein Mensch das recht betrachtet, so wird er … erkennen, dass, wenn ihm auch der Leib fort genommen würde, er selbst doch bleiben und keineswegs zu Nichts werden würde.

Auf die Frage nach dem Wesen und der besonderen Beschaffenheit des Herzens aber hat das heilige Gesetz zu antworten nicht erlaubt. Darum hat der Gesandte Allahs, als man ihn danach fragte, keine Erklärung dafür gegeben. Es heißt im Worte Allahs:
Und sie befragen dich über die Seele. Sprich: “Die Seele ist eine Angelegenheit meines Herrn; und euch ist vom Wissen nur wenig gegeben.”
17:85

Mehr zu sagen war ihm nicht erlaubt, als dass der Geist ein göttliches Wesen sei und zu der Welt des Befehls gehöre.
Wahrlich, Sein ist die Schöpfung und der Befehl! Segensreich ist Allah, der Herr der Welten.
7:54


Es gibt aber noch ein anderes Ding, das man Geist nennt und das der Teilung fähig ist, das ist der Lebensgeist, den auch die Tiere haben. Der Geist aber, den wir hier Herz nennen, das ist das Organ der Erkenntnis Allahs, den haben die Tiere nicht, und er ist weder Körper noch Akzidens, sondern eine Substanz von der Art der Substanz der Engel. Das Wesen dieses Geistes zu begreifen, ist schwer, und eine Erklärung davon zu geben, ist nicht erlaubt. Für die ersten Schritte auf dem Wege der Religion ist diese Kenntnis auch nicht vonnöten. Denn dieser Weg beginnt mit dem heiligen Kampfe, und wer nach Gebühr diesen Kampf kämpft, dem fällt jene Erkenntnis von selber zu, ohne dass er sie von jemand anders zu hören brauchte. Denn diese Kenntnis gehört zu der Gnadenleitung, von der es im Worte Allahs heißt:
Diejenigen aber, die sich um Unsertwillen abmühen (-kämpfen), werden Wir ganz gewiß Unsere Wege leiten. Und Allah ist wahrlich mit den Gutes Tuenden.
29:69

Wer aber diesen Kampf noch nicht vollendet hat, zu dem darf man nicht von dem Wesen des Geistes reden. Vor dem Beginn des Kampfes aber muss man die Streitkräfte des Herzens kennen. Denn wer die Streitkräfte nicht kennt, der kann den Streit nicht führen.



 

Wesensanalyse von Imam al-Ghazali (2. Teil)

 

BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM

 

 

Teil 2: Die Streitkräfte des Herzens
Aus Kimiya-i-Saadat vom Imam al-Ghazali -rahimahullah-
überarbeitet von Yahya ibn Rainer

Wisse: Der Leib ist das Königreich des Herzens, und in diesem Königreiche sind dem Herzen mancherlei Streitkräfte untertan:

Aber niemand weiß über die Heerscharen deines Herrn Bescheid außer Ihm
74:31

Das Herz ist geschaffen für die jenseitige Welt, und seine Aufgabe ist das Suchen seiner Glückseligkeit. Seine Glückseligkeit aber besteht in der Erkenntnis Allahs. Die Erkenntnis Allahs erlangt das Herz durch die Erkenntnis der Werke Allahs. Diese gehören der Sinnenwelt an, und da erlangt das Herz die Erkenntnis der Wunder der Welt durch die Sinne, diese aber bedürfen wiederum zu ihrem Bestehen des Leibes. So ist also die Erkenntnis für das Herz das Wild, die Sinne sein Jagdnetz, der Leib sein Fahrzeug und zugleich der Träger des Netzes. Das ist der Grund warum das Herz des Leibes bedarf.

Der Leib ist zusammengefügt aus Wasser, Erde Wärme und Feuchtigkeit, und daher schwach und in steter Gefahr, zugrunde zu gehen, sei es von Innen her durch Hunger und Durst, sei es von außen her durch Wasserflut und Feuersbrunst oder Angriffe von Feinden, reißenden Tieren und dergleichen. Zur Stillung des Hungers und Durstes bedarf der Mensch der Speise und des Trankes. Dazu aber bedarf er zweier Heerscharen, nämlich einer äußeren: das sind Hand und Fuß, Mund und Zähne und Magen, und einer inneren, der Begierde nach Speise und Trank. Auch zur Abwehr der äußeren Feinde bedarf er zweier Heerscharen, einer äußeren, das sind Hand und Fuß und einer inneren, der Kraft des Zornmutes.

Da es aber unmöglich ist, eine Nahrung zu suchen, die man nicht sieht, und einen Feind abzuwehren, den man nicht erblickt, so bedarf es ferner der verschiedenen Arten der Wahrnehmung, von denen die einen wieder äußere sind, nämlich die fünf Sinne; Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, und die anderen innere, welche gleichfalls fünf an der Zahl sind und wir im Gehirn haben; es sind die Kräfte der Vorstellung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Erinnerung und der Einbildung. Jede dieser Kräfte, hat ihre besondere Aufgabe, und wenn eine von ihnen versagt, so nimmt der ganze Mensch Schaden am ewigen und am zeitlichen Heile. Alle diese Streitkräfte, die äußeren wie die inneren, sind dem Herzen untertan, und das Herz ist ihrer aller Anführer und König. Befiehlt er der Zunge, so redet sie, befiehlt er der Hand, so greift sie, befiehlt er dem Fuß, so schreitet er, befiehlt er dem Auge, so blickt es, befiehlt er der Denkkraft, so denkt sie. Sie alle sind so gemacht, dass sie mit natürlicher Willigkeit seine Befehle ausführen zur Wartung und Hütung des Leibes, damit er seine Wegzehrung einnehmen und sein Wild erjagen, den Handel des Jenseits abschließen und den Samen seiner Glückseligkeit ausstreuen könne. Der Gehorsam dieser Streitkräfte gegen das Herz ist gleich dem Gehorsam der Engel gegen Allah: Sie können keinem seiner Befehle zuwiderhandeln, sondern führen sie mit Willigkeit und Eifer aus.

Die Kenntnis der Streitkräfte des Herzens im einzelnen ist eine langwierige Sache. Darum soll dir ein Gleichnis sagen, was gemeint ist: Der Leib des Menschen gleicht einer Stadt. Hand und Fuß und die übrigen Glieder sind die Handwerker in dieser Stadt, die Begierde ist der Verwalter der Steuereinkünfte, der Zornmut die Polizei, das Herz ist der König der Stadt und die Vernunft sein Wesir. Der König bedarf dieser Diener alle, um sein Reich recht zu regieren. Allein die Begierde, der Verwalter der Steuereinkünfte, ist lügnerisch, unverschämt und Verwirrung stiftend; alles was der Wesir, die Vernunft, sagt, ist ihm zuwider, und sein ganzes Streben geht nur darauf, das gesamte Vermögen des Landes unter dem Vorwand der Steuererhebung an sich zu reißen. Der Zornmut aber, die Polizei, ist boshaft, hart, gewalttätig und heftig und liebt Töten, Zerstören und Blutvergießen.


So wie nun der König einer solchen Stadt sich in allen Dingen mit dem Wesir berät und den lügnerischen und begehrlichen Steuerverwalter im Zaume hält und nicht auf ihn hört, wenn er dem Wesir widerspricht, sondern die Polizei über ihn setzt, um ihn an unverschämten Übergriffen zu hindern, und wie er anderseits auch die Polizei klein und demütig hält, so dass sie mit keinem Schritt ihre Befugnisse überschreitet, und auf solche Weise sein Reich in Ordnung hält, so muss auch der König Herz dem Rate des Wesirs Vernunft folgen und Begierde und Zornmut seiner Aufsicht unterstellen, nicht aber die Vernunft zum Diener jener beiden machen; dann wird das Reich des Leibes gedeihen, und der Weg zur Glückseligkeit, zu Allahs Gegenwart wird ihm nicht abgeschnitten werden. Wenn er aber die Vernunft zum Sklaven der Begierde und des Zornmutes werden lässt, so geht das Reich zugrunde, und der König gerät in Elend und Verderben.


Aus alledem hast du ersehen, dass Zornmut und Begierde geschaffen sind, um für Speise, Trank und die Erhaltung des Leibes zu sorgen. Sie sind also beide des Leibes Diener, Speise und Trank aber sind die Nahrung des Leibes, der Leib aber ist dazu geschaffen, Träger der Sinne zu sein, er ist also der Diener der Sinne, die Sinne wiederum sind geschaffen, um der Vernunft als Späher und Werkzeug zu dienen, damit sie das wunderbare Wirken Allahs erkennt, sie sind also die Diener der Vernunft; die Vernunft aber ist geschaffen, um für das Herz eine Fackel und Leuchte zu sein, bei deren Licht es die Gottheit schaut, und dieses Schauen der Gottheit, das ist sein Paradies. So ist also die Vernunft die Dienerin des Herzens; und das Herz ist geschaffen zum Schauen der göttlichen Schönheit. Wenn das Herz das tut, so ist es ein rechter Knecht und Diener Allahs; und dieser Dienst ist gemeint in dem Worte Allahs:

Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur darum erschaffen, damit sie Mir dienen (sollen).
51:56

Darum also ist das Herz geschaffen und dieses Reich und Heer ihm übergeben und dieses Reittier des Leibes ihm anvertraut worden, damit es aus der Welt des Staubes hinauf reite zu den höchsten Himmelshöhen.


Will es nun dieser Wohltat gerecht werden und die Pflicht der Gottesknechtschaft erfüllen, so muss es sich als König an die Spitze seines Reiches setzen und die Gottheit zu seinem Richtpunkt und Wegziel, das Jenseits zu seiner Heimat und Ruhestätte, den Leib zu seinem Reittier, diese irdische Welt zu seiner Karawanserei, Hand und Fuß zu seinen Dienern, die Vernunft zu seinem Wesir, die Begierde zu seinem Schatzverwalter und den Zornmut zu seiner Polizei machen.

Die Sinne mache es zu seinen Spähern, deren jeder mit einer anderen Welt betraut ist, um die Nachrichten aus aller Welt zusammenzutragen; die Vorstellungskraft, die vorn im Gehirn wohnt, sei sein Postmeister, der alle Meldungen der Späher sammelt, das Gedächtnis in den hinteren Teilen des Gehirns der Kanzleivorsteher, der die Meldungen von dem Postmeister entgegen nimmt und aufbewahrt um sie zu ihrer Zeit dem Wesir, der Vernunft, vorzulegen, damit er das Reich nach den Meldungen, die aus dem Lande eingegangen sind, verwalte und die rechten Maßnahmen für die Reise des Königs treffe. Sieht es aber, dass einer aus dem Heere, etwa die Begierde oder der Zornmut oder sonst einer, sich wider den König empört, ihm den Gehorsam verweigert und ihm den Weg verlegen will, so rüste es sich zum heiligen Krieg, um den Empörer zur Ordnung zurückzubringen.


Doch darf sein Streben nicht dahin gehen, die Empörer zu töten, denn das Reich kann ohne sie nicht bestehen, sondern es sei allein darauf bedacht, sie zum Gehorsam zurückzuführen, damit sie ihm auf der Reise, die vor ihm liegt, Helfer, nicht Feinde, Freunde, nicht aber Räuber und Wegelagerer seien. Wenn das Herz also handelt, wird es glückselig und der Wohltat gerecht werden, und es wird zu seiner Zeit das Ehrenkleid des Lohnes für seinen Dienst empfangen. Handelt es aber anders und empört sich, so wie die rebellischen Wegelagerer und Feinde, so verleugnet es die Wohltat und wird elend werden und schwere Strafe leiden.


Wesensanalyse von Imam al-Ghazali (3. Teil)

 

BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM

 

 

 

Teil 3: Die Charaktereigenschaften und Neigungen
Aus Kimiya-i-Saadat vom Imam al-Ghazali -rahimahullah-
Überarbeitet von Yahya ibn Rainer

 

Wisse: Das Herz ist mit jeder dieser Streitkräfte, die in seinem Innern wohnen, durch eine besondere Beziehung verbunden, durch jede von ihnen entsteht in ihm eine besondere Charaktereigenschaft. Die einen dieser Eigenschaften sind schlecht und stürzen den Menschen ins Verderben, die anderen sind gut und führen ihn zur Glückseligkeit.
Alle diese Eigenschaften aber, so viel ihrer auch sind, zerfallen insgesamt in vier Arten:

  1. Eigenschaften des Viehs
  2. Eigenschaften der Raubtiere
  3. Eigenschaften der Teufel und
  4. Eigenschaften der Engel

Denn da die Kraft der Begierde in den Menschen gelegt ist, tut er die Werke des Viehs, das gierige Sichvollessen und Begatten; und da die Kraft des Zornmutes in ihn gelegt ist, tut er die Werke des Hundes, Wolfs und des Löwen, das ist Schlagen, Töten und die Menschen anfallen mit der Hand und mit der Zunge.

Da die Anlage zu Trug und List, Verstellung und Verführung der Menschen in ihn gelegt ist, tut er die Werke der Teufel, und da die Vernunft in ihn gelegt ist, tut er die Werke der Engel, das sind: Wissenschaft und frommen Wandel lieben, alles hässliche Tun meiden, nach Eintracht unter den Menschen streben, sich zu edel und hoch für schimpfliche Taten achten, sich freuen an der Erkenntnis Allahs in seinen Werken, sich schämen der Torheit und Unwissenheit. So kann man sagen, dass in der Natur des Menschen vier Wesen zusammen wohnen:

  1. ein Hund
  2. ein Schwein
  3. ein Teufel und
  4. ein Engel

Der Hund ist hässlich und abscheulich, nicht wegen seiner äußeren Gestalt, seiner Beine und seines Fells, sondern wegen seiner Eigenschaft, die Menschen anzufallen.
Auch das Schwein ist abscheulich, nicht wegen seiner äußeren Gestalt, sondern wegen seiner Leidenschaft und Gier nach schmutzigen und gemeinen Dingen. Von solcher Art ist der Hunde- und Schweinegeist, und ihn hat der Mensch in sich, und ebenso, wie wir beschrieben haben, ist auch der Teufel- und der Engelsgeist. Es ist aber dem Menschen geboten, mit dem Lichte der Vernunft, welches ein Abglanz von dem Lichte der Engel ist, die List und Verstellung des Teufels aufzudecken, damit er gedemütigt dastehe und ihn nicht mehr verführen kann, so wie der Gesandte Allahs sagt:

 

„Jeder Mensch hat seinen Teufel, auch ich habe meinen, doch Allah hat mit zum Siege über ihn geholfen, so dass ich ihn gebändigt halte und er mir nichts Böses mehr befehlen kann.«

Weiter ist ihm geboten, das Schwein der Begierde und den Hund des Zornmutes zu bändigen und unter die Aufsicht der Vernunft zu stellen, so dass sie ohne ihren Befehl sich nicht regen können. Wenn er so verfährt; dann entstehen in ihm jene guten Eigenschaften, die zum Samen seiner Glückseligkeit werden. Handelt er aber anders und macht er sich zu ihrem Sklaven, so entstehen in ihm die bösen Eigenschaften, die zum Samen seines Elends werden. Würde ihm dann im Schlafen oder im Wachen sein Zustand im Bilde gezeigt, so sähe er sich zum Dienste vor einem Schweine oder einem Hunde oder einem Teufel aufgeschürzt. Wenn ein Mensch einen Muslim gefangen der Hand eines Ungläubigen überlässt, so weiß man, wie es um ihn steht. Wer aber einen Engel in der Gefangenschaft eines Hundes, eines Schweins und eines Teufels schmachten lässt, mit dem steht es noch viel schlimmer.

Die meisten Menschen stehen freilich, wenn man gerecht richtet und Abrechnung hält, Tag und Nacht nur zum Dienste ihrer Lüste aufgeschürzt, und ihr Zustand ist so, wie wir geschildert haben, mögen sie auch äußerlich der Gestalt des Menschen gleichen. Morgen aber, am Tage der Auferstehung, wird es ans Licht kommen, und die Gestalt wird dem Sinn entsprechen. Den Menschen, der von der Begierde und Leidenschaft beherrscht war, wird man in der Gestalt eines Schweins sehen, und den, den der Zornmut beherrschte, in der Gestalt eines Hundes oder Wolfs. Das ist der Grund, warum ein Wolf oder Hund, den man im Traume sieht, einen gewalttätigen Menschen, ein Schwein einen schmutzigen Menschen bedeutet. Denn der Schlaf ist das Abbild des Todes; in dem Maße, wie der Schläfer durch den Schlaf dieser Welt entrückt wird, folgt die Gestalt dem Sinn, so dass er dann jeden Menschen in der Gestalt sieht, die seinem inneren Wesen
entspricht. Doch das ist ein großes Geheimnis, dessen Erklärung über den Rahmen dieses Buches hinausgeht.


Da du nun weißt, dass in deinem Innern diese vier Gewaltigen und Befehlshaber wohnen, so beobachte dich selbst in deinem Tun und Lassen und sieh zu, welchem von den vieren du gehorchst, und erkenne recht, dass durch jede Handlung, die du begehst, eine Eigenschaft in deinem Herzen entsteht, die darin bleibt und dich in die andere Welt begleitet. Diese Eigenschaften nennt man Charaktereigenschaften, und alle Charaktereigenschaften entstehen also aus jenen vier Gewaltigen.


Wenn du dem Schwein der Begierde gehorchst, so entstehen in dir die Eigenschaften der Unsauberkeit, Schamlosigkeit, Gier, Schmeichelei, Niedrigkeit, Missgunst, Schadenfreude und andere. Bändigst du aber die Begierde und hältst sie in Zucht und Gehorsam, so entstehen in dir Genügsamkeit, Selbstbeherrschung, Schamhaftigkeit, Gehorsam, Höflichkeit, Keuschheit, Mäßigung und Unbegehrlichkeit. Gehorchst du dem Hunde Zornmut, so entstehen in dir Unbesonnenheit, Großsprecherei, Hochmut, Großmannssucht, Geringschätzung und Verachtung der Mitmenschen und Streitsucht, Hältst du aber den Hund in Zucht, so entstehen Geduld, Ausdauer, Nachsicht, Standhaftigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit, Mut und Edelmut. Gehorchst du dem Teufel, dessen Sinnen und Trachten stets darauf gerichtet ist, den Hund und das Schwein aufzuhetzen und frech zu machen und List und Ränke zu lehren, so entstehen in dir die Laster der Hinterlist, der Treulosigkeit, der Verführung zum Schlechten, der Falschheit, Verschlagenheit, Verstellung und Betrügerei. Hältst du ihn aber gebändigt und lässt dich durch seine Betrügerei nicht täuschen und kommst der Streitkraft der Vernunft zu Hilfe, so entstehen in dir Klugheit, Kenntnis, Wissen, Weisheit, Rechtschaffenheit, gute Sinnesart, Seelengröße und Herrschersinn.

Diese guten Eigenschaften in dir gehören zu den guten, dauernden Dingen und sind der Samen der Glückseligkeit. Die Handlungen, aus denen der schlechte Charakter entsteht, nennt man Sünde, und die, aus denen der gute Charakter entsteht, Gehorsam; und alles Tun und Lassen der Menschen gehört immer einer dieser beiden Klassen an. Das Herz gleicht einem klaren Spiegel, diese hässlichen Eigenschaften aber dem Ruß und der Dunkelheit, die ihn trübe machen, so dass es die Gottheit nicht sehen kann und von ihr geschieden bleibt. Die guten Eigenschaften aber sind gleich einem Lichte, das in das Herz dringt und es reinigt von aller Sünde und Finsternis. Darum spricht der Gesandte Allahs.

»Lass auf jede schlechte Tat eine gute folgen, auf dass sie sie auslöscht«;

denn am jüngsten Tage wird das Herz entweder dunkel oder licht auf dem Felde der Auferstehung erscheinen.

An dem Tage, da weder Besitz noch Söhne (etwas) nützen, sondern nur der (gerettet werden wird), der mit reinem Herzen zu Allah kommt.
26:88-89

In seiner ursprünglichen Anlage gleicht das Herz dem Stahl, daraus man einen blanken Spiegel machen kann, in dem das Bild der ganzen Welt erscheint, wenn er nach Gebühr gehütet wird. Lässt man aber den Stahl verkommen, so wird er rostig und taugt nicht mehr zum Spiegel. Darum heißt es im Worte Allahs:

Nein, jedoch das, was sie zu tun pflegten, hat auf ihre Herzen Schmutz gelegt.
83:14

Wenn du nun sagst:
»Wenn im Menschen die Eigenschaft des Viehs, der Raubtiere, der Teufel und der Engel vereinigt sind, woher weiß ich dann, dass sein eigentliches Wesen die Substanz der Engel ist, und dass die anderen ihm fremd und zufällig sind, und woher weiß ich, dass er dazu geschaffen ist, in sich die Eigenschaften der Engel zur Entfaltung zu bringen, und nicht die anderen?«,
so wisse:
Das erkennst du durch die Einsicht, dass der Mensch etwas Edleres und Vollkommeneres ist als das Vieh und die Raubtiere. Jedes Ding aber, für das es eine ideale Vollkommenheit gibt, die die höchste Stufe darstellt, die es erreichen kann, ist für diese Stufe der Vollkommenheit geschaffen.

So ist das Pferd etwas Edleres als der Esel, denn der Esel ist geschaffen zum Lasten tragen, das Pferd aber dazu, in Kampf und Streit unter dem Reiter, so wie es sich gebührt, zu laufen und zu traben. Zwar ist auch ihm die Kraft gegeben, Lasten zu tragen, wie dem Esel; doch ist ihm noch eine höhere Vollkommenheit gegeben, die dem Esel nicht gegeben ist, und wenn es unfähig ist, die Stufe seiner Vollkommenheit zu erreichen, so macht man ihm einen Tragsattel, und es sinkt auf die Stufe des Esels herab. Das aber bedeutet für das Pferd Verkümmerung und Untergang.


So meinen manche Leute, dass der Mensch zum Essen, Schlafen und Begatten geschaffen sei und damit das ganze Leben hinbringen solle. Andere wieder wähnen, er sei geschaffen, um andere zu besiegen, zu unterwerfen und zu beherrschen, wie die Araber, Türken und Kurden. Aber beide Meinungen sind verkehrt, denn Essen und Begatten geschieht durch die Begierde, und die ist auch den Tieren gegeben. Ja die Tiere übertreffen den Menschen sogar im Essen, und im Begatten bringen es die Spatzen weiter als der Mensch. Warum sollte also deswegen der Mensch von edlerem Range sein als sie? Besiegen und Unterwerfen aber geschieht durch den Zornmut, und der ist auch den Raubtieren gegeben. So besitzt der Mensch alles, was den Raubtieren und dem Vieh gegeben ist; aber darüber hinaus ist ihm noch ein Vorzug gegeben: die Vernunft, mit der er Allah erkennen und Allahs wunderbares Wirken wahrnehmen und sich selbst von der Gewalt des Zornmutes und der Begierde befreien kann. Das aber ist die Eigenschaft der Engel, und durch diese Eigenschaft herrscht der Mensch über das Vieh und die Raubtiere, und sie sind ihm dienstbar samt allem, was auf Erden ist, wie es im Worte Allahs heißt:

Hast du denn nicht gesehen, dass Allah euch alles, was es auf und in der Erde gibt, dienstbar gemacht hat?
22:65

Das wahre Wesen des Menschen ist also das, worin seine Vollkommenheit und sein Adel besteht. Die anderen Eigenschaften aber sind ihm fremd und nur geliehenes Gut und sind ihm nur zur Hilfe und Unterstützung gesandt. Daher kommt es, dass, wenn der Mensch stirbt, weder Zornmut
noch Begierde bleiben; aber seine Substanz bleibt, entweder klar und licht, geschmückt mit der Erkenntnis Allahs und von der Art der Engel, um ihr Gefährte und ein Glied jener himmlischen Schar zu werden, die ewig die Gegenwart der Gottheit genießt

…in einem würdigen Wohnsitz in der Gegenwart eines Mächtigen Königs.
54:55

, oder aber dunkel und beschämt das Haupt nieder senkend; dunkel, weil sie durch die Finsternis der Sünde mit Rost bedeckt ist, beschämt sein Haupt nieder senkend, weil er seine Seele zur Ruhe gesetzt hatte mit Begierde und Zornmut. Alles aber, woran seine Begierde hing, hat er auf dieser Welt zurücklassen müssen. Darum ist sein Antlitz dieser Welt zugewandt, weil dort das Ziel seines Begehrens und Strebens liegt. Diese Welt aber liegt unter jener Welt, und darum muss er sein Haupt nieder senken. Das ist der Sinn des Wortes Allahs:

Könntest du nur sehen, wie die Schuldigen ihre Köpfe vor ihrem Herrn hängen lassen werden
32:12

Dieses Menschen Aufenthalt wird im »Kerker« bei den Teufeln sein. Aber nicht jeder weiß, was »Kerker« bedeutet; darum heißt es im Worte Allahs:

Und was lehrt dich wissen, was Sidschdschin (der tiefe Kerker) ist?
83:8


Die Wunder der Welt des Herzens sind unendlich viele an Zahl. Auf einem aber beruht des Herzens Adel, das ist vor allem wunderbar, wenn auch die meisten Menschen seiner nicht achten.

 
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